Helga Ritsch, „Nato a 600 m di altezza“

Im April 1336 bestieg der Dichter und Gelehrte Petrarca gemeinsam mit seinem Bruder den Mont Ventoux in der Provence. Diese erste datierte, kulturgeschichtlich relevante, alpinistische Exkursion verband er mit Betrachtungen über sein Innenleben und die Bedeutung der Kunst. Die Anziehungskraft der Berge ist bis heute ungebrochen.

Auch die aktuell in der Galerie Palü präsentierten Gefässe von Helga Ritsch entstanden in einer Bergwelt. Die Künstlerin arbeitet seit über 20 Jahren im Misox, einem Tal im Süden des Bündnerlandes.
Die immensen Grössenverhältnisse und gleichzeitige Ruhe der Bergwelt erlauben einen weiten und freien Entstehungsprozess. Grundsätzlich beschreibt die Künstlerin das Arbeiten und Entwerfen in den Bergen als unabhängiger und weniger zweckgebunden als beispielsweise in einer urbanen Umgebung.

Der eigentliche Entwurf geht mit einem Denkprozess, einer Skizze im Kopf einher. Während des anschliessenden Drehens wird das Gefäss geformt und danach beim Abdrehen gezielt ausgearbeitet und durch bewusst gesetzte Details klar differenziert. Die darauffolgende Farbgebung, wenn eine stattfindet, ist weder besonders bunt und nie dekorativ. Die Glasur geht von der Form, nicht von der Farbe aus und nimmt dabei stets Rücksicht, welchen formalen Einfluss sie auf die Wahrnehmung hat.

Die daraus resultierenden klaren und schlichten Arbeiten aus Porzellan oder Steinzeug haben architektonischen Charakter, sind raumbildend und ihre Aussen- und Innenform führen einen fortwährenden Dialog. Der akademische Hintergrund von Helga Ritsch in den Architektur- und Kunstwissenschaften erklärt das Denken und Arbeiten mit Flächen und Formen.

Die unmittelbare Umgebung sieht die Künstlerin als metaphorische Bühne für ihre Arbeiten. Obwohl die Gefässe in sich alleine stehen, formt die nicht abschliessend definierte Idee der Bühne mit und lenkt die Wahrnehmung – ein Wechselspiel, das Helga Ritsch schon immer interessierte und sich oftmals in ihren Entwürfen widerspiegelt.

Der Faden, ein weiteres Leitmotiv in ihrer Arbeit, wurde einmal treffend von Kunsthistoriker Dr. Ronnie Watt umschrieben: «Als kraftvolles, wenn auch zerbrechliches Dekorationselement ist der Faden ein visueller und intellektueller Akzent für ein Werk, aber gleichzeitig integraler Bestandteil dieser Form, weil er in ihr verankert ist.»

Er soll aber in keiner Weise zu einer entwerferischen Zwanghaftigkeit werden, sondern wird jedes Mal von neuem bewusst gesetzt und geht mit einer intellektuellen Auseinandersetzung mit jedem Gefäss einher. Der Objektcharakter des Fadens stellt dabei die Funktionalität in Frage, irritiert vielleicht und verändert zeitgleich aber auch die wahrgenommene Dimensionalität.

Grundsätzlich definiert Helga Ritsch die Funktion ihrer Gefässe nicht. Für sie bleibt diese Frage geistig unbeantwortet und wird von ihr auch niemals vorgegeben. Ihre Arbeiten regen zum Nachdenken an und sind Grenzgänger, die das keramische Handwerk neu interpretieren.

Viele der Gefässe der Künstlerin entstehen im engen Bündner Bergtal, ziehen jedoch für Ausstellungen in die weite Welt nach Tokyo, Seoul, Hongkong, New York, London, Mailand oder Venedig – und jetzt auch ein erstes Mal in die nahegelegene Galerie Palü. Graubünden ist gross: Die keramischen Gefässe aus dem Misox von Helga Ritsch werden zusammen mit den Bildern aus dem Engadin von Lukas R. Vogel im selben Raum ausgestellt – dies freut die Künstlerin besonders!

Samira C. Ritsch, Kunsthistorikerin BA UZH

ARTLAND Katalog

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